In einem Blogbeitrag habe ich geschrieben: „Die Software-Industrie hat eine neue Evolutionsstufe erreicht. Es sind mächtige Plattformen für Datenintegration, Big Data, Analytics, Digital Workplaces und vieles mehr verfügbar.“ Die mit diesen Werkzeugen erstellten Anwendungen laufen in der skalierbaren Cloud, IoT-Lösungen lassen sich konfigurieren und Blockchain-as-a-Service wird zu einem Commodity-Angebot von Google und Co.

Der unerbittliche Druck zur Veränderung kommt von zwei Seiten. Auf der einen Seite gilt: mit G5 steht eine riesige Bandbreite für die Datenübertragung vor der Tür, die Entwicklung der Prozessorleistung folgt immer noch dem Mooreschen Gesetz und leistungsstarke Sensoren sammeln mehr und mehr Daten ein. Jeder Faktor alleine ist ein fundamentaler „game changer“, der völlig neue Geschäftsoptionen ermöglicht. Ray Kurzweil lässt grüßen, die exponentielle Entwicklungsgeschwindigkeit setzt sich kontinuierlich fort. Auf der anderen Seite sorgen Plattformen für Softwareentwicklung dafür, dass sich die Geschwindigkeit in der Auslieferung von Anwendungen immens beschleunigen wird. Stichworte sind Automatisierung der Entwicklung, Mikroservice-Architekturen und Low-code-Plattformen. Immer mehr Menschen werden in die Lage versetzt immer schneller Software ausliefern zu können.

Allerdings: Noch betreibt die klassische IT in fast allen Branchen das Kerngeschäft – nicht nur bei Banken, Versicherungen und im produzierende Gewerbe. Die spannende Frage ist folglich: Wie bringt man die „alte“ IT mit den Optionen der „neuen“ IT, die auf leistungsstarke Hardware und hoch-performante Plattformen setzt, zusammen? Gilt das Yin-und-Yang-Paradigma, d. h. stehen sich einander entgegengesetzte und dennoch aufeinander bezogene Kräfte oder Prinzipien befruchtend und dauerhaft gegenüber – oder muss Legacy schon bald vollständig einer neuen, hoch-agilen IT weichen? Ist nicht morgen schon das Neue das Alte und der Spagat zwischen Stabilität und Agilität schon heute zugunsten einer 100%igen Agilität entschieden – wie es Klaus Straub, BMW CIO, propagiert?  

Wir nähern uns der Antwort in aller Vorsicht. Zunächst ist offenkundig, dass es für IT-Abteilungen kompliziert ist, die beiden Welten zu integrieren. Die alte IT, das sind nicht nur Legacy-Technologien mit Mainframes, Cobol-Code und Wasserfall-Planung, es geht auch um Menschen, die für diese Systeme ausgebildet und verantwortlich sind. Ihr Fokus ist vor allem Zuverlässigkeit und Sicherheit, da der stabile Betrieb essentiell ist für das laufende Geschäft. Letztlich fußt häufig das Kerngeschäft auf diesen Anwendungen. Für die neue IT-Welt erscheint vieles aus dieser alten Welt als Hemmschuh, der die Nutzung innovativer Möglichkeiten blockiert. Die neue Welt ist nun mal schnell, wendig, flexibel und setzt auf die jeweils neuesten Technologien – um als „early mover“ den Markt zu definieren. Auf diesen Technologien basiert das Geschäft der Zukunft.

Gartner erwartet, dass IT-Abteilung auf einige Zeit beiden Dimensionen Rechnung tragen werden. Demzufolge suchen viele Unternehmen nach einem „bi-modalen“ Weg: Scrum, continuous deployment und andere moderne Ansätze – bevorzugt in der Cloud – auf der einen, der herkömmliche Betrieb mit bewährten Legacy-Infrastrukturen auf der anderen Seite. Auf diese Weise wird zweifellos den vielfältigen Compliance-Anforderungen (rechtlich, betriebswirtschaftlich, gesellschaftlich) genüge getan. Die traditionelle IT garantiert mit Frameworks wie ITIL weitgehende Sicherheit, Prozesskonformität und Kostensenkung. Die agile IT wird getrieben vom business development, der C-Ebene oder den Fachabteilungen. Hier geht es um Wettbewerbsvorteile durch agile Methoden, Prototyping, Design Thinking, Cloud-Services, Virtualisierung und Künstliche Intelligenz. 

Is this it? Ist dies Yin und Yan als leitende IT-Philosophie? Zweifel an dem Erfolg der hier nur holzschnittartige skizzierten Bi-Modalität sind angebracht. Mir erscheint die Sicht von BMW’s Klaus Straub schlüssig zu sein: Kaum ein Mitarbeiter möchte zur Kategorie der „langsamen IT“ gehören. Das ist demotivierend – zumindest für die Leistungsträger. Organisatorisch führt diese Zweigleisigkeit zu einer unerwünschten Komplexität. Und nicht zuletzt: Technologisch ist Zögerlichkeit schädlich angesichts der schnelle Durchdringung aller Unternehmensbereiche mit Software. Am Ende des Tages steht die Frage, wie schnell Distributed-Ledger-Technologie, DevOps und agile Methoden ein Unternehmen durchdringen. Das Kunststück besteht darin, eine Schrittfolge zu wählen, die in der Unternehmenskultur verankert ist und Budget, Mentalität, organisatorische Flexibilität in Einklang bringt. Nur gilt auf langer Sicht: Das Vorhandene (Yin) ist stets die Grundlage, auf der sich das Künftige (Yang) entfaltet.